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Über Ethnopsychoanalyse

 
 

 

 
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Der schamanische Heiler und der Analytiker

Reflexionen über Selbstverständnisse

von Wolfgang Hekele

 

Der Beruf des Heilers, des Arztes wird auch in unserem Kulturraum auf den des Schamanen zurückgeführt. Wir haben geschichtliches Material, um archaische Formen des Heilens sowie Auffassungen über Krankheiten zu studieren. In der Sichtung des historischen Materials können wir die Quellen unserer Heil-Kultur, auch unserer psychoanalytischen, nachvollziehen. In der ethnoanalytischen Forschung haben wir aber die Möglichkeit, unmittelbar, mit unseren ganzen Sinnen, archaische Formen des Heilens mitzuerleben. Das Fremde daran fasziniert. Die nachfolgende Sichtung und Reflexion macht deutlich, dass es neben dem zunächst einmal sehr verwandt Erscheinenden große Unterschiede gibt.

Gerd Heller hat sich in zahlreichen Forschungsaufenthalten vorwiegend im indischen Kulturraum eine beeindruckende Kenntnis des schamanischen Heilens erworben. Er hat einen Einblick in schamanische Heilrituale präsentiert. Anhand seines Materials sowie unter Rückgriff auf die Arbeit von Mircea Eliade möchte ich Ähnlichkeiten und Unterschiede in den Selbstverständnissen von Schamanen und Psychoanalytikern deutlich machen.

 

Übersicht und Diskussion über verschiedene Selbstverständnisse

Schamane Analytiker

Auserwählter

Heiler / Helfer

Spezialist der Seele

Mittler: Geist-<>Mensch-Welt

Medium für Geister-Heilung

Seelenbeschützer vor Dämonen

Seelenbegleiter u. ~sucher

Initiationsmeister post mortem

Meister der Ekstase/Trance u. Geister

Experte

Heiler / Helfer

Spezialist der Seele

Mittler: Ubw <> Bw Medium (ÜB-Heilung)

Meister der Interpretation

Routinier der Selbstreflexion

Förderer der Selbsterkenntnis

Förderer der Nachreifung

Förderer des Selbst-Entwurfes

 

 

Der Schamane ist in seinem Selbstverständnis und seiner Identität ein Auserwählterund Heiler. Zu dieser Identität kommt der Schamane durch Auswahl und Berufung. Das Individuum, welches später Schamane ist, wird durch eine Eingebung zum Schamanentum berufen und ausgewählt, es hat den Willen der Geister empfangen. Ein anderer Weg ist die erbliche Übertragung des Schamanen-Berufes. Es wird auch beschrieben, dass Individuen aus freier Wahl Schamanen werden, oder dass sie sich durch Aufforderung durch ihren Clan oder ethnische Gruppe zum Schamanen ausbilden lassen. Den Schamanen, welche ihre Identität auf dem Weg der Berufung und Auswahl oder durch Erbe erhalten haben, wird eine größere Kraft zugeschrieben. Wenn ein Individuum auserwählt wird, kann und darf es nicht anders, als Schamane zu werden, weil es sonst einerseits Konsequenzen der Geister und Götter zu befürchten hätte, andererseits sich gegen das Heil- und Schutzbedürfnis der Gemeinschaft wenden würde. Auserwählte sind Schamanen aber noch in einem anderen Sinn: Sie haben " Zutritt zum Bereich des Heiligen, der für die übrigen Mitglieder der Gemeinschaft unzugänglich ist." (M. Eliade)

 

Derjenige, der Analytiker werden will, entscheidet sich zu dieser Identität aus freier Wahl, die der zukünftige Schamane nicht hat. Bei einem Analytiker, der ein Selbstverständnis als auserwählter oder berufener Analytiker vertritt, würden wir Probleme mit seiner Identität vermuten. Dem schamanistischen Selbstverständnis des Auserwählten steht ein Selbstverständnis gegenüber eines in einem Berufs-Curriculum nach mehreren Prüfungen gutausgebildeten Experten.

Der Schamane ist sich seiner Identität als Heiler ganz sicher, während sich unser Selbstverständnis als Analytiker insbesondere seit der Medizinalisierung der Psychoanalyse in einem Paradigmenwechsel befindet. Der Schamane versteht sich als Heiler in einem sehr umfassenden Sinn. Er erwartet von sich selbst, dass er dem Kranken helfen kann und muss. Gleiches erwartet von ihm die Gruppe. Innerhalb des vielschichtig angelegten medizinischen Versorgungssystems verstehen wir uns eher als Spezialisten, die einer kleinen Gruppe von Kranken helfen können. Das Selbstverständnis als Helfer zur Gesundung und Entwicklung ist als unabdingbare berufliche Vorraussetzung anzusehen.

 

Sowohl der Schamane als auch der Analytiker sehen sich selbst als Spezialisten für die Belange der Seele an. Der Schamane ist oft noch mehr von seiner ethnischen Gruppe darin eingebunden, für das seelische Wohl der Gruppe zu sorgen, er hat sozusagen einen sozialen Auftrag. Z. B. wird in einer indischen Ethnie die Gruppe antropomorph angesehen (Mitteilung Herr Heller), und der Schamane hat über das Wohl dieses Körpers zu achten und ihn gegebenenfalls zu heilen. Zum Teil heilt er ähnliche Beschwerden wie der Medizinmann, aber anders, mit der für sein Tun unerlässlichen Trance-Technik und rituellen „Vorführungen.“

Der Schamane hat es allerdings zumeist mit einem anderen Verständnis von Seele zu tun als der Analytiker. In vielen Ethnien wird als Ursache für Krankheit der Verlust der Seele angesehen. Der Schamane hat dann die Seele wieder einzufangen. Die Seele hat bei Naturvölkern oft die Bedeutung von Lebenskraft, Lebensprinzip, kann aber auch einen anderen religiös-mythologischen Sinn haben. In der Psychoanalyse hat eine Säkularisierung und Spezialisierung des Begriffs Seele stattgefunden. Während dieser Begriff in Freuds Schriften allgegenwärtig ist, taucht er in der neuen Literatur so gut wie nicht mehr auf, allenfalls noch als „seelische Erkrankung“ zur Markierung eines Unterschiedes zur „rein körperlichen Erkrankung.“ Wir befassen uns heute mit einem komplexen Gebilde, mit einem System oder Strukturen, und stellen uns auch behandlungstechnisch darauf ein. Entweder sehen wir als seelische Struktur etwas Gewachsenes, durch das Zusammenspiel von Genen und sozialer Erfahrung Gebildetes, welches durch eine gewisse Konstanz gekennzeichnet ist, dessen Plastizität wir aber auch entdeckt haben. Wir sprechen dann von dem Charakter und seine Eigenschaften. Oder wir betrachten ein anderes System, welches im klassischen Strukturmodell die Wechselwirkung zwischen unterschiedlichen seelischen Kräften des Es, Ich und Über-Ich beschreibt; dieses Modell hat eine dynamische Dimension. Man könnte sagen, dass die Seele im schamanischen sich im Bereich des kosmologisch-magischen bewegt, im analytischen in einem Bereich des wissenschaftlich-allgemein Beschreibbaren einerseits und individuellen andererseits. Wir sehen mehr die gewachsene Seele des Individuums als die mystisch-magischem Denken unterworfene Seele.

Spielt im Denken und Handeln des Schamanen mehr die Seele der Gruppe eine Rolle als die des Einzelnen, mehr das Überleben der „Gruppen-Seele“ als die des Einzelnen, mehr das Überleben der gesamten Kosmologie?

Zur Erhaltung der Sinn, Struktur, und Orientierung stiftenden Kosmologie einerseits und der ethnischen Gruppe andererseits hat der Schamane Mittler-Funktion, und damit eine Stellung, die zwischen dem Priester auf der einen und dem Medizinmann auf der andere Seite angesiedelt ist. In der Trance „sieht, spürt, erlebt und stellt er dar“ die Seele des Individuums oder Gruppe einerseits und der Ahnen-, Geister- und Götterwelt andererseits. Er „vermittelt“ zwischen den mächtigen Ahnen, Geistern und Göttern, damit die Menschen überleben können. Er vermittelt auch zwischen der Geisterwelt und dem Totenreich, damit die Seelen der Verstorbenen dort einen Platz in Frieden finden können, und die Überlebenden Abschied nehmen und ein friedliches Verhältnis zu ihren Ahnen finden können. Als Analytiker sind wir auch Mittler, indem wir z. B. innerhalb des Systems Bw <> Ubw im Rahmen der „Trauerarbeit“ einer Seite, die Abschied von einem wichtigen Menschen nehmen will, dabei helfen, mit einer anderen Seite, die Verlust nicht tolerieren kann, in einen inneren Dialog miteinander zu treten. Als Objektbeziehungs-Therapeuten „vermitteln“ wir zwischen Individuen bzw. den verinnerlichten Repräsentationen zum Zwecke einer angemesseneren, weniger dysfunktionalen äußeren und inneren Beziehung zwischen Selbst und Objekten. Innerhalb der analytischen Konfliktpsychologie vermitteln wir im o. g. Dialog ermöglichenden, anregenden Sinne - zwischen Triebimpulsen einerseits und moralisch-ethischen Werten andererseits. In der Selbstpsychologie vermitteln wir auf der Ebene der Identität zwischen verschiedenen Identifikationsfiguren, deren Orientierungen, Werte und Ideale, auf der Ebene des Selbstwertes zwischen Idealen und realen oder auch entwerteten Aspekten.

Beide sind wir Medien, aber doch von völlig anderer Natur. Der Schamane ist Medium, wie z. B. Herr Heller einen Schamanen zitiert, das " Instrument " von Geistern. Der Schamane holt zum Beispiel einen krankmachenden Geist aus dem Patienten in sich hinein, und macht ihn in sich selbst unwirksam. Oder er holt Schutzgeister in sich hinein, mithilfe er dann einen Geist, der den Patienten besetzt, unwirksam machen kann. In gewissem Sinn sind wir aber auch Medium. Dies insofern, als wir uns (als Fühlende und Denkende) zur Verfügung stellen, damit der Patient seine Übertragungen auf uns richten kann, und wir sie ihm dann bewusst machen können. In diesem Sinne stellen wir uns auch als Medien zur Verfügung. Eine weitere Bedeutung als Medium können wir auch im Containing sehen. Wir nehmen-wie der Schamane einen Geist – z. B. einen projizierten, abgelehnten Selbst-Anteil des Patienten zunächst in uns stellvertretend auf. Indem wir diesen Vorgang der Projektion zunächst einmal zulassen, und nicht strikt zurückweisen, können wir auch einen destruktiven Anteil desselben entkräften, wie der Schamane einen krankmachenden Geist in sich selbst unwirksam macht. Wir halten es dann für therapeutisch notwendig, dass der uns anvertraute Patient über seinen psychischen Abwehrvorgang von uns aufgeklärt wird, und wir ihm den bislang ubw Sinn deuten. Der Schamane hat in diesem Beispiel mehr eine magisch-„entgiftende“ Elternfunktion, der Analytiker zumeist – zumindest bei strukturstarken Patienten – eine die Selbstfindung und Autonomie anregende Funktion.

Ähnlich unterschiedlich sind die Positionen im Selbstverständnis, wenn der Schamane der Seelenschützer, Seelenbegleiter und der postmortale Initiationsmeister ist.

Der Schamane begleitet Seelen z. B. in die Unterwelt, damit sie von dort unbeschadet in den Himmel gelangen können. Er kann aber auch verirrte Ahnengeister in ihre Heimstatt zurückbringen. Bei den Naxi in China muss die Seele des Toten über eine Brücke und ein Labyrinth gelangen, bevor sie in den Himmel gelangt. Hier ist der Schamane sowohl ein Begleiter als auch Initiationsmeister post mortem. Brücke und Labyrinth haben initiative Bedeutung.

Hier nimmt der Schamane eine im Vergleich zum Analytiker allmächtige Eltern-Position ein gegenüber dem Analytiker, der sich als Meister der Interpretation, Routinier der Selbstreflexion, Förderer der Selbsterkenntnis, Förderer der Nachreifung und Förderer des Selbst-Entwurfes des Patienten eher als reale Person zurücknimmt.

Wir befinden uns analytisch - zumindest im klassisch-neurose-therapeutischen Selbstverständnis – mit dem Patienten mehr auf einem partnerschaftlichen, reflektiv-rationalen, Einsicht-fördernden Weg.

 

Bezüglich „Förderer des Selbst-Entwurfes“ ist zu sagen, dass wir hier ein Selbstverständnis haben, welches wieder vorrangig das Individuum in seinem Streben nach Selbstfindung und Entwicklung sieht. Mit diesem Selbstverständnis ist ein Streben nach Toleranz und Akzeptanz verbunden, dass das uns anvertraute Individuum sich so verstehen und dahin entwickeln will, wie wir es in unserem tiefsten Inneren vielleicht nicht für gut halten. Der Schamane ist vermutlich zumeist mehr eingebunden in eine festgelegte Geister- und Götter-Mythologie sowie Werte- und Moralwelt seiner Ethnie, was dem Einzelnen und daher auch dem Schamanen weniger individuellen Spielraum einräumt als es in unserer Kultur möglich ist. Deshalb versteht der Schamane sich eher nicht in einem Selbstfindenden und ~entwickelnden sondern eher in einem die Mythologie und das Wertespektrum bestätigenden Kontext.

Eliade beschreibt den Schamanen als „Spezialist einer Trance, in der seine Seele den Körper zu Himmel- und Unterweltfahrten verlässt.“

 

 

 

 

Leid und Freud in Partnerschaften: bei den matriarchalen Mosu in China

von Wolfgang Hekele (2008)

 

Geografie:

Die Mosu leben in Südwestchina im Grenzgebiet Yunnan/Sichuan. Das Kernsiedlungsgebiet liegt auf knapp 3000 m Höhe um den Lugu See u. im Hochtal von Yongning. Die Berge erreichen hier eine Höhe bis auf 4400 m. Das Klima beschert den fruchtbaren Äckern der Mosu reichlich Regen. Die Temperaturen reichen von - 3 im Winter bis 37 im Sommer.

Ethnische Identität u. deren Entwicklung

Die Mosu stellen eine von den 55 Minderheiten China`s dar. Es ist eine Ethnie mit 15.000-20.000 Mitgliedern, die ihre eigene Sprache u. Schrift hat.

Erstmals erwähnt werden sie um das 4 Jahrhundert n. Ch., gesicherte schriftliche Schilderungen existieren seit 1253. Seit dieser Zeit bis zur kommunistischen Machtergreifung 1949 bestand diese Ethnie aus einem kleinen, dominierenden u. über das Land verfügenden patriarchalen u. einem überwiegenden matriarchalen Anteil.

Lebensform: Wie leben die Mosu?

Die Vielzahl der Mosu leben in kleinen Dörfern. Das Dorf, welches ich untersuche, besteht aus 7 Familien mit insgesamt 84 Familienmitgliedern. Die Familien sind relativ groß, wie es beispielhaft die durchschnittliche Stärke von 12 Mitgliedern/Familie des von mir untersuchten Dorfes zeigt.

Den Mosu geht es bezüglich Lebenserhaltung im Vergleich mit anderen ethnischen Gruppen gut. Seit 20 Jahren gibt es keine Hungersnot mehr.

Sie leben von Ackerbau, Viehzucht, Fischfang am Lugu See, Transporthandel u. Lohnarbeit. Vom Verkauf von Ernteerträgen u. Vieh kaufen sich die Familien Haushaltsmittel, Kleidung u. Gerätschaften.

Abriß Entwicklung:Wie ist ihre familiäre Lebensgemeinschaft?

Die Mosu wohnen in großen Gehöften. Es sei angedeutet, dass es einen großen Hauptraum gibt, in dem zumeist die älteste Frau oder Familienchefin wohnt, u. in dem sich alle zu den Mahlzeiten u. besonders abends nach dem Essen zum Zusammensein treffen. Die Frauen haben nach der Initiation zumeist um das 13. Lj. eigene Zimmer, während die Männer zusammenschlafen in einem Hauptraum.

Bezüglich der Arbeit kümmern sich Frauen um das Haus, Viehfüttern, Einbringen des Viehs abends in die Stallungen, Pflanzung /Ernte von der Nutzpflanzen, Herstellung von Butter, Tofu u. Solimar (Likörgetränk) etc.. Die Männer erledigen die schwereren Arbeiten, z. B. Bauarbeiten an den Häusern, schwerere Feldarbeiten, Transport von Ernterträgen mit Vieh etc.. Sie arbeiten hauptsächlich für die eigene Mutter-Familie, stellen aber auch ihre Arbeitskraft für die Familie, in welcher ihre Azhu-Partnerin lebt, zur Verfügung.

In religiöser Hinsicht werden nebeneinander mehrere Religionen praktiziert; die jeweiligen Religions-Vertreter haben für die Mosu sehr unterschiedliche, differenzierte „Aufgaben.“ Neben Berg- u. Naturgottheiten u. Ahnenkult u. der ursprünglichen Mosu-Religion des Dabaismus spielt der tibetische Lamaismus eine große Rolle.

Abriß Entwicklung: Wie ist ihre familiäre Lebensgemeinschaft?

Bez. psychischer Entwicklungsaspekte sei angedeutet, dass es bis vor einigen Jahren üblich war, Kinder bis zur nächsten Schwangerschaft zu stillen. Dies konnte mehrere Jahre gehen.

Ich habe einen Vorgang beobachtet, den ich als Anregung zur Separation u. Erziehung zum Teilen interpretierte. Kinder bekommen um das 1 Lj. Nahrungsmittel (z. B. Obst) von der Mutter in den Mund „geküsst“, die sie an sie u. alle anderen Familienmitglieder von Mund zu Mund wieder zurückgeben müssen.

Die Kinder haben sehr intensiven Körperkontakt, in der ersten Zeit besonders zur Mutter, aber auch von Anfang an zu allen anderen Familienmitgliedern. Wenn die Mutter auf dem Feld ist, kümmern sich Großmutter, aber auch schon Kinder um die Kleinen. Es wird viel gespielt.

Bei den Söhnen erfolgt zumeist ab dem 7. Lj. bez. des Schlafens u. der Erziehung die Trennung von den Müttern/Großmüttern; ab hier werden sie mehr durch die Onkels erzogen. Sie schlafen dann auch im Männerzimmer.

Die psychosexuelle Aufklärung erfolgt i. d. Regel durch etwas ältere Kinder, nicht durch die Eltern.

Besonders bedeutungsvoller Höhepunkt für beide Geschlechter, insbes. aber für Mädchen, ist die Initiation; Mädchen bekommen dann das sog. „Liebeszimmer,“ in dem sie im Prinzip ihre ersten Azhu`s zum Liebesakt empfangen können. In der Regel entwickeln sich erste freundschaftliche Beziehungen ab dem 16. Lj., erste sex. Beziehungen ab dem 17./18. Lj..

Paarbeziehungen

Wenn keine feste Beziehung eingegangen u. dadurch in die Familie des Partners eingezogen wird, leben sowohl Töchter als auch Söhne zeitlebens bei ihren Mutterfamilien.

Vater u. Mutter in unserem Sinn gibt es nur dann, wenn es ein Elternpaar gibt, welches eine feste Form der Partnerschaft (über die später berichtet wird) etabliert hat. Dann hat neben den anderen Erziehungspersonen u. der Mutter auch der Vater eine enge Beziehung zu seinen Kindern u. erzieht diese mit. Hat die Mutter ausschließlich Azhu-Beziehungen, entwickeln sich enge Bindungen der Kinder an die Mutterpersonen Mutter u. Großmutter sowie zu den Onkels u. Kindern, also zu allen Familienmitgliedern.

Ein Resultat der Untersuchung ist, dass die intensivste innere Bindung bei Allen zur Mutter-Familie besteht. Es werden parallel dazu Bindungsaspekte zu einzelnen Familienmitgliedern, z. B. Mutter, Großmutter, Onkel genannt, denen gegenüber stärkere liebevolle Gefühle bestehen oder Dankbarkeit für deren Förderung u. Wertschätzung.

Bez. Macht unterscheiden sich die Mosu auch von anderen Ethnien, da es auch hier eine Vielfalt gibt. Zumeist ist in dieser matriarchalen Ethnie eine Frau die Familienchefin. Sie wird nicht Alters-hierarchisch gewählt sondern nach Tüchtigkeit. Z. B. ist die 24-jährige B. solch eine tüchtige Familienchefin. Es ist auch möglich, dass ein Paar Chef-Funktion sich teilt, z. B. ein Geschwisterpaar.

Alle Familienmitglieder geben den z. B. durch Lohnarbeit erwirtschafteten Verdienst an die Familienchefin ab u. holen sich bei ihr Geld für ihren Bedarf. Die Chefin hat also auch die Verantwortung über den ökonomischen Bereich der Familie. Individuellen Besitz gibt es nicht, nur kleine Geschenke u. Kleidungsstücke.

Alle Probleme, welche einzelne der Familie, Teile von ihr oder sie insgesamt betreffen, werden in z. T. lange dauernden Gesprächen abends solange besprochen, bis es Lösungen gibt. Die Kommunikation ist in vielen Belangen der Problem lösende Weg. Es gibt so gut wie keine Gewalt unter den Mosu. Gemeinschaftswohl bez. Familienwohl hat Vorrang vor individuellem Glück.

Azhu-Beziehung

ist eine sog. Besuchsbeziehung. D. h., dass der Azhu-Partner abends/nachts kommt u. am frühen Morgen wieder zurück in seine „Mutter-Familie“ geht. Es ist eine ausschließliche Liebesbeziehung, wobei ein romantischer Anteil in den Schilderungen auftaucht, mehr noch aber ein sexueller. Der Mann besucht die Frau, anders herum ist es nicht möglich. Es besteht völlige Gleichberechtigung bei der Initiation der Beziehung; beide können sich auf verschiedenen Wegen „anmachen“, u. eine Vereinbarung für die folgende Nacht anbahnen. Gleichberechtigung für beide Geschlechter besteht auch darin, dass beide gleichzeitig mehrere Azhu-Beziehungen haben können, d. h. die Frau in der gleichen Nacht mehrere Männern empfangen / die Männer mehrere Frauen besuchen können. Es besteht keine Verpflichtung, die Existenz einer weiteren Azhu-Beziehung mitzuteilen. Streng genommen besteht die Azhu-Beziehung nur für die letzte Nacht u. nur dann, wenn es Sex gibt. Sie kann aber unterschiedlich lange dauern, von einer Nacht bis mehrere Jahrzehnte; das Letztgenannte ist wohl selten. Die Azhu-Beziehung ist also nicht ein auf Dauer angelegtes Beziehungskonzept. Freude u. Zufriedenheit bezieht sich darauf, eine Vielfalt bez. sexueller Partner/Erfahrungen zu erleben, u. sich dabei sicher zu fühlen. Die Partner leben/wohnen in ihrer Ursprungsfamilie. Beendigung ist ebenfalls gleichberechtigt für beide Geschlechter zu jedem Zeitpunkt möglich. Es ist dann keine Erklärung notwendig. Mag die Frau nicht mehr, sagt sie es oder lässt ihn nicht mehr ins Zimmer. Will er nicht mehr, sagt er dies oder bleibt einfach weg. Die Frau bestimmt, ob es zu einem sexuellen Akt kommt oder nicht. Wenn sie es zugelassen hat, dass der Mann in ihrem Zimmer ist, kommt es auch zum sexuellen Akt. Gewalt gibt es nicht bzw. extrem selten.

Wenn die Azhu-Beziehung zunächst geheim gehalten wird, sprechen die Beteiligten nicht offen über diese. Natürlich weiß jeder im Dorf darüber Bescheid, es ist ein offenes Geheimnis, welches toleriert wird. Mütter greifen bei ihren Töchtern nur dann ein, wenn ihnen bekannt ist, dass der Partner kriminell ist/war, dann zumeist ein Dieb. Selbst wenn der Partner der Tochter ein eigener Partner war, greift die Mutter nicht ein. Als freudiges Moment wird das von Freiheit genannt: "Dein(e) Liebhaber(in) ist auch mein(e) Liebhaber(in)." Dieses Freiheits-Erleben bezieht sich auch auf die Tatsache, dass auch durch fülligste Geschenke keinerlei Anspruch geltend gemacht werden könnte. „Frauen gehören Niemandem.“ Geschenke sind Gefühlsmitteilungen.

Eifersucht gibt es (wenn man den Schilderungen folgt) nicht, denn „Mann u. Frau sind kein Besitz.“ Der Mann, der feststellen muß, dass schon ein anderer bei der begehrten Frau ist, sagt sich: „ist eine Tür verschlossen, öffnet sich Morgen eine neue.“ Treueversprechen sind wohl möglich, stellen aber nach meiner Kenntnis eher eine Ausnahme dar. Es wird gelächelt über Personen, die beide eine einzige, feste Beziehung im Leben eingegangen sind. Männer sagen dann, wenn ein Mann gar keine Beziehung zu einer Frau eingegangen ist (was selten vorkommt), dass Gott ihn dafür bestrafen wird, indem ihm im Himmel sein Penis abgeschnitten werden wird.

Azhu-Beziehungen in höherem Alter sind seltener. Die Frauen sagen von sich ab Ende 50 selbst, dass sie zu alt geworden seien für die Liebe u. die Männer die „Liebesarbeit“ nicht mehr gut verrichten könnten. Die Schilderungen klangen nicht resignativ sondern als angenommene Lebensrealität. Die Älteren haben ja noch viele Aufgaben u. sind anerkannt.

Hier wäre also im Vergleich mit der Entwicklung in unseren Breiten, in welchen in letzter Zeit eine größere Zufriedenheit bez. sexueller partnerschaftlicher Betätigung in fortgeschrittenem Alter konstatiert wird, eine andere Lebenspraxis.

Feste Beziehung

Feste Beziehungen werden gegründet entweder, weil das Paar es so will oder weil ein Mangel besteht. Dieser kann sich darauf beziehen, dass der Bestand der Familie gefährdet ist u. eine Frau benötigt wird oder weil die Versorgung der Familie gefährdet ist, weil es Männermangel gibt. Häufiger habe ich angetroffen, dass ein Mann in die Familie der Frau eingezogen ist (uxorilokal), seltener ist wohl der Einzug der Frau in die Familie des Mannes (virilokal).

Viele Regeln u. Gepflogenheiten, welche für die Azhu-Beziehung gelten, regulieren auch die feste Beziehung. So ist die Partnerwahl genauso frei, d. h. nicht die Familie arrangiert das zukünftige Paar. Trennung ist ebenfalls nach freiem Willen jederzeit möglich; nur bei länger bestehender Beziehung werden Fragen des Verbleibes der Kinder nötigenfalls (nur bei Bedrohung des Fortbestandes der aufnehmenden Familie) besprochen. Allerdings ist zum Eingehen der festen Partnerbeziehung notwendig, dass die Mitglieder beider Familien zustimmen. Die Sexualität mit dem Partner wird als ein Privileg erlebt, wieder nicht als Pflicht.

Ein Leidaspekt bezüglich der Azhu Beziehung wurde von einer Frau folgendermaßen beschrieben: sie erlebt es als schmerzvoll, dass sie ihren leiblichen Vater nicht kennt. Ansonsten wurde Leid in den Azhu Beziehungen personenbezogen geschildert, etwa in dem Sinne, dass der Partner durch zunehmenden Alkoholkonsum unzuverlässig und ausfällig geworden war.